Marie-Luise O‘Byrne-Brandl

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Im Rahmen ihres ersten Residenzstipendiums im September und Oktober 2020 hat Marie-Luise O’Byrne-Brandl ihre performative Reihe Amouröse Stadtschreiberin weiterentwickelt, die sie 2016 begonnen hatte und bei der sie im öffentlichen Raum oder in einer öffentlichen Institution in situ Liebesbriefe für Menschen verfasst. Vor dem Hintergrund der Pandemie inserierte O’Byrne-Brandl ihr Angebot der amourösen Stadtschreiberin in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, wodurch Anfragen sie per E-Mail oder Telefon erreichten. So verfasste die Künstlerin die mit Feder und Tinte geschriebenen Briefe in ihrem Atelier und versendete sie postalisch an ihre Empfänger:innen. Desweiteren schrieb O’Byrne-Brandl Liebesbriefe an von ihr ausgewählte „Oberhausener Wahrzeichen“, so etwa an die ehemalige Zinkfabrik Altenberg oder an die Slinky-Springs-to-Fame-Brücke. Das Projekt wurde von dem Fotografen Rainer Schlautmann begleitet und mündete in eine Publikation.

Marie-Luise O’Byrne-Brandl, geboren 1957 in Oberhausen, ist als Autodidaktin zur Kunst gekommen. Über das Anfertigen großformatiger Malereien und einer ersten Aktion 1998, bei der sie sich in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen bei laufendem Ausstellungsbetrieb in ihr Bett neben ihre Bilder legte, erhielt sie den Impuls, sich fortan im Medium Perfomance künstlerisch auszudrücken. Seither hat sie zahlreiche partizipative Performances im Raum Oberhausen, wo sie lebt, umgesetzt.

Marie Luise O'Byrne Brandl:: Stadtschreiberin























Leseprobe von Liebesbriefen für geliebte Gegenstände für das Buch „Dich zu lieben will ich nie verlernen“

Liebesbrief für ein Oberhausener Wahrzeichen.

Meine liebe Slinky springs to frame bridge,

wenn ich auf Dir laufe, sich Deine Vibrationen in meinen Leib schleichen, bin ich glücklich und fühle mich zuhause. Deine bunten Spiralen berühre ich zaghaft mit meinen Fingerspitzen und freue mich ob ihrer schönen Textur. 


Die  Zwischenräume Deiner Spiralen sind Nichtmaterielles. Was meine körperliche Hand nicht ertasten kann, ertastet mit Freude mein Geist. Ich liebe jede Sequenz Deines Wesens und Deines Körperbaus. Wenn wir ab und zu alleine sind, nenne ich Dich beim Kosenamen: “ Meine Rehbergerbrücke, meine Heroin. So laufe ich gelegentlich nur im Trenchcoat über meinem  Schlafanzug und mit nackten Füßen in meinen Schuhen bekleidet, auf Dir hin und her und lustwandle auf Deiner illuminierten Anziehungskraft. Bei meinen Spaziergängen auf Dir kann ich kluge und schöne ebenso verträumte Gedanken fassen, weil Du mich inspirierst. Deine Schönheit Deine Eleganz, Deine Klarheit, Deine außergewöhnliche Konstruktion, Dein Wohnort über dem Rhein Herne-Kanal in Sichtweite der  Ludwiggalerie und des Gasometers faszinieren mich. Die Dimension des Ehrens ist aus unserer Alltagspraxis weitgehend verschwunden, für meine  Beziehung zu Dir trifft das nicht zu. „ Ich ehre Dich meine Liebste aus vollem Herzen.“ Ich beneide den Wind, dass er, wenn immer er möchte, Deine 496 Aluminiumbögen, berühren  darf. Ich will dich sanfter berühren, als der Wind es vermag, damit ich in Deiner Erinnerung bleibe. Hörst Du mein Herz klopfen, wenn ich bei Dir bin? Ich fühle mich Dir in Zugehörigkeit und Treue verbunden. 

In ständiger Wiedersehensfreude. 


Mein liebes Christoph Schlingensief Haus

Glück und Unglück halten ihre Hände über Deinem Dach,

Deine ganze Fassade sieht traurig aus

und die leeren Blicke Deiner Fenster schauen in die Ferne.


Was ist ein Haus?

Vier Wände, einige Fenster und Türen

und über dem Ganzen – ein Dach.

Aber die die unter diesem Dach wohnen

betrachten es als magischen Ort

den man Zuhause nennt.

Für Christoph Schlingensief warst Du sein Zuhause 

Bevor er aufbrach in die Welt

Um mit seiner Kunst das Unrecht zu bekämpfen.


Vieles hat er geschafft.

Er starb und zwar zu jung und weit entfernt.


Ich würde Dich gerne dazu zu bringen

einen Hut auf Dein Dach zu setzen

und einen Schal um Deinem Kamin zu werfen

um dort mit mir um die Ecke zu schleichen

und in der gemütlichen Gdanska Kneipe

ein paar Bier auf Christoph und seine Kunst zu trinken.

Vielleicht kommt dann ein Lächeln

auf Deine Fassade.


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My dear Christoph Schlingensief’s house 

Fortune and misfortune both hold their hands above your roof.

Your whole façade looks somehow sad

and your windows stare vacantly across the street.


But what’s a house?

Four walls, some windows and some doors

and over all a roof.

But those who live beneath that roof

consider it that magic place called home.


Christoph Schlingensief called you his home

before setting off into the world

to fight injustice with his art.

He died too young

far too young and far away.


I wish I could entice you to put a hat upon your roof

throw a scarf around your chimney

and sneak with me around the corner over there 

to have a drink or two in the cheerful  Gdanska pub

to toast to Christoph and his art

And maybe sweep away the lonely look on your façade .



©Kunsthaus Mitte 2022